Die Ankündigung klang ein bisschen, als zitiere sie den Film "Spaceballs" von Mel Brooks. In der Science-Fiction-Parodie fliegt ein Raumschiff mit "wahnsinniger Geschwindigkeit" ("ludicrous speed"), das steht so auch ganz ernsthaft auf den Instrumenten. Auch Elon Musk war es völlig Ernst, als er auf Twitter ankündigte, die neue Fabrik von Tesla im brandenburgischen Grünheide werde mit "unvorstellbarer Geschwindigkeit" entstehen.
Musk hat generell keinerlei Problem damit, so selbstbewusst aufzutreten, dass er den Rand der Komik streift. Die sogenannte Gigafactory soll bereits im nächsten Jahr Autos produzieren, das klingt in der Tat unvorstellbar. Sie entsteht keine Autostunde entfernt vom Berliner Hauptstadtflughafen, der eigentlich vor acht Jahren hätte fertig werden sollen. Andererseits: Bis vor einem Jahr war auch nicht sicher, ob Tesla tatsächlich Gewinne einfahren könnte - inzwischen ist der kalifornische Autobauer der Star der Börsen und dort höher bewertet als die Konkurrenz der klassischen Autohersteller.
Im Sommer nächsten Jahres soll die Fabrik in der Nähe von Berlin startklar sein, nach neuestem Stand sogar mit eigener Batteriefertigung, dazu ein Entwicklungszentrum in der Hauptstadt. Das wäre rekordverdächtige zwei Jahre nach der Ankündigung. Zum Vergleich: BMW brauchte für sein Werk in Leipzig knapp vier Jahre, und das war durchaus kein schlechter Wert.
Aber wie wird Tesla als Arbeitgeber in Deutschland sein? Die Stellenanzeigen, die das Unternehmen schaltet, laden zur Textinterpretation ein. Dass "Teamplayer" gesucht werden, die "zupacken" können - geschenkt. Dass man Deutsch und Englisch beherrschen soll - Standard in einem US-Konzern. Bemerkenswert ist, wie Tesla immer von seiner "Vision" spricht, der Welt "nachhaltige Mobilität" zu verkaufen. Bewerber sollten in diesem Sinne fähig sein, "das Team auf die nächste Stufe zu heben". Und Ingenieure bereit sein, auch wochenends oder nachts Probleme zu lösen.
Weltverbesserung in 40 Wochenstunden
Schnell denkt man an die üblichen Start-up-Klischees: alle für die Sache, alle für die Firma. Das heißt häufig auch: mit Hurra in die Selbstausbeutung. Tesla-Chef Elon Musk selbst pflegt diese Bilder: Die Welt könne man nicht mit einer 40-Stunden-Woche verändern, schrieb er bei Twitter. Er behauptet, selbst schon auf 120 Wochenstunden gekommen zu sein, 80 findet er für sich als Vorstandschef viel, aber angemessen. Ein bisschen klingt das wie Maßzahlen für Leidenschaft, ein Begriff, der bei selbst ernannten Weltverbesserern beliebt ist.
Andererseits kann man nicht andauernd die Welt verändern, es ist oft schon anstrengend genug, ein paar anständige Autos zu bauen - bei beidem helfen ausgedehnte Erholungsphasen.
Mit Deutschland wagt sich Tesla in ein Land, das eine vergleichsweise strenge Arbeitsgesetzgebung hat. Arbeitnehmer sollen vor Ausbeutung, wie sie oft im Silicon Valley praktiziert wird, geschützt werden, etwa durch Arbeitszeitregeln, die sinnvolle Pausen vorschreiben. Zwar gibt es auch in den USA zumindest in der Autoindustrie große Gewerkschaften, doch zum Beispiel in seiner Fabrik im texanischen Austin hat Musk bislang wenig Gegenwind fürchten müssen.
"Willkommen im Land der Mitbestimmung"
In Deutschland dagegen heißt es: "Willkommen im Land der Mitbestimmung". So formulierte es Roman Zitzelsberger, der Bezirksleiter der IG Metall in Baden-Württemberg. In dem Satz steckt zweierlei: Einerseits die Warnung, dass man in Deutschland große Industrieunternehmen nicht nach Großkapitalistenart führen kann, andererseits aber auch ein ehrlicher Willkommensgruß.
Über zukunftsträchtige Arbeitsplätze, wie sie Tesla wohl bieten wird, freuen sich Gewerkschafter schließlich. "Wir begrüßen die Ansiedlung von Tesla in Grünheide", sagt Holger Wachsmann, Geschäftsführer der zuständigen IG Metall Ostbrandenburg. "Zu den Erfolgsmodellen in Deutschland gehören die Mitbestimmung und ihre Betriebsräte. Wir gehen davon aus, dass Tesla die deutsche Mitbestimmungskultur respektiert."
Es dürfte dennoch ein schwieriger Lernprozess werden - für beide Seiten. Ein wenig Erfahrung haben Wachsmanns Kollegen im rheinland-pfälzischen Prüm gemacht: 2017 übernahm Tesla dort die Firma Grohmann, einen Mittelständler, der auf Fertigungsroboter für die Autoindustrie spezialisiert ist. Rund 700 Mitarbeiter hatte Grohmann damals, als Verkaufspreis wurden 150 Millionen Dollar kolportiert, aber von keinem Beteiligten öffentlich bestätigt.
Bald darauf drohten die Mitarbeiter mit Streik, die Gewerkschaft forderte die Übernahme des Tarifvertrags, mindestens aber mehr Gehalt. Die Bezahlung lag damals 25 bis 30 Prozent unter Tarif, was allerdings nicht Teslas Schuld war. Das Lohngefüge hatte der neue Eigner mitübernommen.
Die Gewerkschafter argumentierten mit gewachsener Unsicherheit, sie sorgten sich um die Arbeitsplätze. Gründer Klaus Grohmann, der ursprünglich die neue Tesla-Tochter weiter leiten sollte, schmiss nach wenigen Monaten hin, Tesla hatte damals noch in keinem Quartal einen operativen Gewinn gemacht. Hieß es erst, der Zulieferer werde weiter seine alte Kundschaft - darunter Daimler, BMW, VW - bedienen, wurden nun massenhaft Aufträge storniert, damit sich die Grohmann-Spezialisten auf Teslas Model 3 konzentrierten. Auch diese Monokultur bereitete den Mitarbeitern Kopfzerbrechen.
Zur Erinnerung: Tesla hatte mit dem Model 3 damals massive Probleme. Der Wagen sollte erschwinglich sein, den Massenmarkt von Elektroautos überzeugen - und Tesla in die Gewinnzone führen. Doch Fertigungspannen und Produktionsmängel verhagelten den Start der anspruchsvollen Großserienproduktion, die ehrgeizigen Ziele konnten nicht eingehalten werden. Bei Tesla herrschte damals Daueralarm.
Immerhin, für Grohmann gab es offenbar mehr Arbeit als gedacht. Überstunden häuften sich an, gerade auch bei Auslandseinsätzen. Die Fertigungsspezialisten sollten auf Biegen und Brechen die Fließbandproduktion zum Laufen bringen.
Viel Arbeit, gute Zuschläge
Doch diese Anstrengungen hatten Nebenwirkungen. Im Februar berichtete die "Wirtschaftswoche", das Arbeitsministerium von Rheinland-Pfalz untersuche, ob Tesla gegen Arbeitszeitvorschriften verstoße. Man befinde sich mit der Firma darüber im Austausch, hieß es vom Ministerium. Tesla sagte, die Anschuldigungen stimmten "in keiner Weise".
Inzwischen wollen sich die Betriebsräte bei Grohmann zu dem Fall nicht mehr äußern. Ausgestanden ist der Konflikt nicht. Zum Gesamtbild gehört allerdings auch: Überstunden werden offenbar gut bezahlt bei Grohmann. Wie die "Wirtschaftswoche" schreibt, bekomme man für die ersten zwei Überstunden einen Zuschlag von 25 Prozent, für jede weitere 50 Prozent - und an Sonn- und Feiertagen mitunter doppelt so viel. So kann die Zusatzarbeit vielen Mitarbeitern schmackhaft gemacht werden.
Fordernd ist Tesla auf jeden Fall. Der Konzern weiß aber auch, sich attraktiv zu machen - auch dazu dient ja die breitbrüstige Egoshow von Chef Musk.
Bei Recruiting-Veranstaltungen, so berichten Teilnehmer aus Brandenburg, gehe Tesla geschickt vor. Sie beschwören den Weltveränderungsspirit des Elektroautopioniers, den Musk stets bemüht. Und sie wecken mit schicken Kleinigkeiten Interesse, etwa dem Plan für eine Techno-Disco auf dem Firmendach. So werden gezielt junge Mitarbeiter angesprochen. Die Jungen verdienen noch nicht so viel und haben nicht so häufig Familie - gute Voraussetzungen für Überstunden.
Ein Vorteil des Standorts Grünheide ist zudem die Nähe zu Polen: Dort gibt es viele gut ausgebildete Fachkräfte mit einem niedrigeren Lohnniveau, Tesla spricht sie gezielt an. Im Unternehmensumfeld ist davon die Rede, dass ein Drittel der 12.000 Beschäftigten, mit denen Tesla offiziell plant, von dort kommen könnte, viele als Tagespendler. Das ist in der Region durchaus üblich, anders dürfte sich die Zahl der Stellen gar nicht besetzen lassen.
Mancher fürchtet nun, dass solche Kollegen viel leidensfähiger und billiger sein könnten. Doch allzu günstig wird Tesla seine Facharbeiter, Techniker und Ingenieure nicht bekommen, denn schon ohne Tesla sind sie am Arbeitsmarkt sehr gefragt. Und natürlich will man nur "die besten Fachkräfte", darunter macht es jemand wie Musk nicht.
Dann also doch Tarifvertrag? Bei Grohmann bislang nicht. Für Grünheide müsste Tesla dazu Mitglied im Verband der Metallarbeitgeber werden, was noch offen ist. Als sicher kann dagegen gelten: Wann immer Mitarbeiter mehr Geld fordern, dürfte Tesla zuerst eigene Aktien anbieten. Das war schon bei Grohmann so, allerdings als die Papiere noch nicht so hoch bewertet waren. Ob das ein attraktives Angebot ist, ist dann vor allem eine Frage des Glaubens.
Zum jetzigen Zeitpunkt hat Tesla "eine dreistellige Zahl" Mitarbeiter für Grünheide engagiert. Auch hier wird es wohl mit unvorstellbarer Geschwindigkeit weitergehen.
July 30, 2020 at 02:34PM
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Tesla in Brandenburg: Der unvorstellbare Arbeitgeber - DER SPIEGEL
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