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Autogramm Polestar 2: Schweden fährt den Konter gegen Tesla - DER SPIEGEL

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Der erste Eindruck: Endlich mal kein SUV.

Das sagt der Hersteller: "Polestar hat es sich zum Ziel gesetzt, den Übergang zu einer nachhaltigeren Mobilität zu beschleunigen", behaupten die Schweden. Aber was bedeutet das konkret? Zum Beispiel ein Interieur, das sozusagen vegan ist - also ohne den Einsatz tierischer Materialien auskommt. Zudem habe Volvo bei der Produktion des Kobalts für die Akkus des Polestar 2 auf die Umweltverträglichkeit und die soziale Verantwortung der Zulieferer geachtet. Diesen harten Kriterien waren weltweit nur zwei Unternehmen gewachsen und blieben als Polestar-Partner übrig. Dafür klopft sich das Marketing selbst auf die Schulter.

Ist der Polestar 2 also der Jutesack unter den Elektroautos? Mitnichten. Thomas Ingenlath, bis dato Designchef der Muttermarke Volvo und seit Kurzem Vorstand der Tochterfirma, spendiert dem Polestar 2 ein knüppelhartes Sportfahrwerk vom Rally-Spezialisten Öhlins, das man nur mechanisch in der Werkstatt verstellen kann. Außerdem gewährt er Auslauf bis 205 km/h. Das ist vor allem deshalb erstaunlich, weil sich Volvo erst kürzlich dazu bekannt hat, künftig sämtliche Verbrennerfahrzeuge auf maximal 180 km/h zu beschränken.

Das ist uns aufgefallen: Beim Blick auf das Datenblatt rücken die Gedanken an Nachhaltigkeit in weite Ferne. Zwei Motoren mit zusammen 300 kW und 660 Nm Drehmoment ermöglichen eine Beschleunigung von 4,7 Sekunden von 0 auf 100 Km/h. Damit liegt der Polestar 2 beinahe auf dem Niveau eines Porsche 911. Dieser Vorwärtsdrang hält auch auf der Landstraße und sogar der Autobahn an. Deutsche Alternativen wie ein Audi e-tron oder ein Mercedes EQ C wirken dagegen ziemlich müde. Neben dem Porsche Taycan bieten nur die Elektroautos von Tesla ähnliche Werte, das Model 3 ist in Kombination mit dem Preis der einzige direkte Wettbewerber. Mit einem Sprintwert von 3,5 Sekunden und einer Höchstgeschwindigkeit von 250 km/h ist es allerdings noch etwas schneller unterwegs als der Polestar 2.

Andererseits tut Polestar einiges, um möglichst viel Reichweite zu retten. So bauen die Schweden einen mit 78 kWh relativ großen Akku ein und erreichen im WLPT-Zyklus einen Aktionsradius von 470 Kilometern. Außerdem setzt Polestar stärker als alle anderen Hersteller auf die Kraft der Rekuperation. Beim Polestar 2 ist die Schubumkehr zur Rückgewinnung der Energie beim Bremsen so stark eingestellt, dass es einen fast schon in die Gurte wirft, wenn man vom Gas geht. Das ist effektiv und effizient, ist aber so gewöhnungsbedürftig, dass die Schweden Novizen zu Beginn der Testfahrt sicherheitshalber zu einer milderen Einstellung raten.

Ist der Akku leer, kann man den Polestar schnell für die nächste Etappe ertüchtigen. An einer CCS-Säule mit 150 kW geparkt, ist der leere Akku binnen 40 Minuten zu 80 Prozent gefüllt. Und zu Hause am Wechselstrom angeschlossen, saugt der 11 kW-Lader die Batterien über Nacht wieder voll.

In anderer Hinsicht aber ist der Polestar 2 kein Lademeister: Weil der 4,61 Meter lange Viertürer nicht explizit für den E-Antrieb entwickelt wurde, sondern die Plattform darunter auch konventionelle Modelle trägt, ärgern sich die Insassen über einen hohen Mitteltunnel im Fußraum und über einen mit 2,74 Metern vergleichsweise kurzen Radstand, der insbesondere Hinterbänklern die Beinfreiheit raubt. Und mit 35 Litern vor dem Fahrer und 405 Litern unter der schrägen Klappe im Heck bietet der Polestar überschaubare Kapazitäten für Gepäck.

Das ist vielleicht der größte Unterschied zum Tesla Model 3. Polestar ist zwar formell die jüngere Marke, baut innen aber das konventionellere Auto: Der Tesla wirkt luftiger und geräumiger und bietet vor allem Hinterbänklern mehr Platz als der Polestar 2. Zudem hat das Model 3 das imposantere Infotainment. Zwar macht Polestar mit der ersten Google-Integration im großen Stil einen wichtigen Schritt hin zu einfacher Bedienbarkeit, schließlich kennt jeder die Navigationssoftware schon von seinem Computer oder Smartphone. Tesla aber hat den größeren Bildschirm und eine Bedienphilosophie, die nahezu ohne Knöpfe und Schalter auskommt.

Dafür punktet Polestar bei den Tugenden klassischer Fahrzeugfertigung, immerhin ist Polestar eine Volvo-Tochter und die Schweden haben in vielen Jahrzehnten gelernt, wie man Autos mit gleichmäßigen Fugen und sortenreinen Farben zusammenbaut. Das ist bei Tesla noch längst nicht Standard.

Doch auch der Polestar 2 ist nicht frei von Tadel: Die Übersicht, gerade nach hinten, ist wegen der kleinen, betont schrägen Heckscheibe eher mäßig, sodass man beim Rangieren dankbar auf die Panorama-Projektion auf dem Touchscreen starrt. Es fehlen zudem wichtige Optionen wie ein Heads-up-Display oder ein Sonnenrollo unter dem Panoramadach. Und auch die Materialqualität kann nicht so richtig überzeugen. Zwar sind Bezüge und Konsolen moralisch einwandfrei, fühlen sich aber vergleichsweise billig an. Dabei ist der Polestar 2 alles andere als günstig: Der Testwagen hatte ein Preisschild von rund 70.000 Euro.

Das muss man wissen: Den Weg zum Volvo-Partner können sich Interessenten sparen, konventionelle Händler hat Polestar nicht. Wer für Preise ab 57.900 Euro im Herbst zu den ersten Kunden zählen will, muss im Internet bestellen und seinen Wagen dann bei einem der sieben Polestar Spaces in Hamburg, Berlin, Köln, Düsseldorf, Stuttgart, Frankfurt, München abholen. Immerhin gibt's für den Service ein paar mehr Partner, die allesamt aus dem Volvo-Netzwerk requiriert worden sind.

Das aber ist kein Problem, denn im Grunde ist der Polestar nichts anderes als ein neu eingekleideter Volvo und nutzt die gleiche Plattform wie etwa der kleine Geländewagen XC40. Entwickelt wurde er in Schweden und gebaut wird er bei der gemeinsamen Konzernmutter Geely in China. Das drückt nicht zuletzt den Preis und ermöglicht später auch ein Basismodell, das mit nur einem Motor und kleinerem Akku im nächsten Jahr für 39.900 Euro zu haben sein soll.

Zum Vergleich hier noch mal die wichtigsten Eckdaten des Tesla Model 3: Das kostet in der Basisversion "Standard Plus" mit Hinterradantrieb, 225 km/h und 409 WLTP-Kilometern 42.900 Euro. Für 52.000 Euro gibt es die Variante "Long Range" mit zwei Motoren, 233 km/h Spitzengeschwindigkeit und 560 Kilometern Aktionsradius. Und wer 58.000 Euro ausgibt, fährt im "Performance"-Modell bis zu 261 km/h schnell und 530 km weit.

Das werden wir nicht vergessen: Den Polarstern, den die Schweden in das große Panoramadach projizieren und tags wie nachts zum Leuchten bringen. Denn auch wenn der Polestar 2 genau wie das Model 3 ein paar Schwächen im Detail nicht verhehlen kann, ist er das erste, nun ja, europäische Auto, das den Amerikanern ernsthaft Paroli bietet - und wird so womöglich zum neuen Leitstern am Himmel der Stromer.

Thomas Geiger ist freier Autor und wurde bei seiner Recherche von Polestar unterstützt. Die Berichterstattung erfolgt davon unabhängig.

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July 23, 2020 at 11:03AM
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